Das gehört zu den grossen Schizophrenien der gegenwärtigen abendländischen Gesellschaft: Im Rahmen der Fussball-WM in Katar spielen sich ihre Medien und Politiker als Moralapostel und Freiheitshüter auf: Ach, wie gross war doch das Geschrei, als dem Kapitän das Tragen der Regenbogenarmbinde untersagt wurde.
Man empört sich über Zensur, die mangelnden Menschenrechte; für Toleranz will man werben. Aber darüber wird völlig vergessen, dass erst vor gut einem Jahr, in der Hochphase der öffentlichen Corona-Hetze gegen Ungeimpfte, ein gewichtiger Teil der Menschen im eigenen Land vom sozialen Leben ausgeschlossen und entrechtet worden ist. Und auch als Geimpfter war man nie fein raus, sondern wurde zum permanenten Nachspritzen genötigt.
Das Buch «Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen» sorgt dafür, dass dies nicht vergessen wird. Es stellt unfassbare verbale Entgleisungen zusammen, getätigt von zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Dabei orientiert es sich an dem Medienprojekt ich-habe-mitgemacht.de, das entsprechende Beispiele seit dem März 2020 sammelt.
Das Buch will den Fokus auf die Akteure richten; sie sollen sich nicht länger hinter dem scheinbar Legitimen verstecken können, geschützt durch staatliche und mediale Macht. Und Täter – das ist seit Hannah Arendts «Banalität des Bösen» bekannt – können gewöhnliche Menschen sein, Schreibtischtäter wie der Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann zum Beispiel.
Mit etwas Abstand ist unter der dünnen Kruste der Zivilisation ganz deutlich die faschistoide Fratze der «Pandemie» zu erkennen. Viele Menschen hätten «die Gunst der Stunde genutzt», so die Autoren. Der politische Faschismus, so ihre These, könne auf einem Alltagsfaschismus des Bürgers aufbauen:
«Der politische Faschismus setzt darauf, dass Werte und Grundhaltungen, die für ihn eine grosse Hürde sind, von unten abgeräumt werden, wenn die entsprechenden Signale von oben kommen. Es bedarf einiger, die dazu bereit sind (und die gibt es immer), sowie vieler, die wegschauen und rückgratlos alles geschehen lassen.»
Es gehöre zu den grossen Lebenslügen gerade der Eliten in Deutschland, dass «damals» niemals mehr «heute» sein könne. Das Buch soll denn als Mahnung verstanden werden:
«Fest steht: Teile der Führungs- und Deutungselite sind mit einer sprachlichen Brutalität gegen Mitbürger vorgegangen, die unserer Demokratie nicht würdig ist. Viele haben in den vergangenen zwei Jahren ‹mitgemacht›. (...) Und noch einmal die Frage: Wie weit wären sie gegangen?»
So ist bereits die Einleitung ins Buch provokant, aber die Frage ist in der Tat nicht unberechtigt: «Darf man eigentlich im Jahr 2022 noch die Frage stellen, inwieweit die deutsche Gesellschaft entnazifiziert ist?»
Wir haben es hier, wie Ulrike Guérot im Vorwort korrekt schreibt, mit einer historischen Zäsur zu tun, mit einer Situation und einer gruppenspezifischen Ausgrenzung existentiellen Ausmasses, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und in der jüngeren Vergangenheit vieler Staaten noch nicht gegeben hat. Das Grundgesetz – ein blosses Lippenbekenntnis?
Und obwohl selbst der Evaluierungsbericht der Bundesregierung die Wirksamkeit von diversen Massnahmen wie Masken nicht belegen kann, fahren die Menschen im öffentlichen Verkehr frisch und munter weiterhin damit umher. Corona ist vor allem die absolute Entsagung der Vernunft und eine Abkehr vom Rechtsstaat. Es offenbart den Hang seiner Profiteure zum Autoritären und Willkürlichen.
Sprachliche Brutalität
Tatsächlich ist das Buch ein Sammelsurium sprachlicher Brutalitäten. Es ist auch eine Dokumentation der massenpsychologischen Gleichschaltung und der öffentlichen Diskurshoheit. Da finden sich Statements von Leuten, die – mit Verlaub – über gewisse Aspekte, von denen sie reden, schlichtweg keine Ahnung haben können; es ist blosse nachgeplapperte Staatspropaganda.
Die Autoren schreiben in der Einleitung: «In der Corona-Krise haben Politiker, Journalisten, Wissenschaftler, aber auch Bürger aus unserer Mitte die Werte unseres Grundgesetzes verraten.» Die Corona-Politik habe alle Bürger einem Totalitarismus ausgesetzt, einer «Politik der Grundrechtsschande».
Wie sehr, das demonstrieren die knapp 100 Seiten mit den Zitaten der Pandemisten. Dieser Teil ist selbstredend und bildet den Höhepunkt des Buches. Ihm gehen rund 50 Seiten voran mit den Kapiteln «Klima: Spaltung, Zwietracht, Wut», «Politik», «Justiz», «Medien», «Gesellschaft», «Eliten», die das systemische Versagen einer Demokratie und ihrer Kontrollinstitutionen aufzeigen.
Die Entwicklung totalitärer Verhaltensmuster können die Autoren dadurch illustrieren, dass sie die Aussagen von Vertretern der vielseitigen korrektiven und tragenden Säulen der Gesellschaft in aufeinanderfolgenden Kapiteln nebeneinanderstellen, denn: «In der Pandemie sind alle Säulen regelrecht zerfallen.» Sie hätten darin versagt, Demokratie und Grundrechte zu schützen.
Ganz deutlich kommt der immer enger werdende Tunnelblick zur Geltung, der sich im Verlauf der «Pandemie» ausgebildet hat. Rückblickend wirkt das umso absurder. Da wurde eine nicht getestete experimentelle Substanz als heilige Kommunion für ein gesundheitliches Problem dahergeschwurbelt, das es so nie gegeben hat. Wer auch nur über geringste historische Kenntnisse verfügt, dem läuft es bei all den gedanklichen Assoziationen, die einen beim Lesen zwangsläufig befallen, eiskalt den Rücken runter.
Kurz gesagt: Das alles fand in einer Gesellschaft im bewusst geschürten Panikmodus der aufgepeitschten Angst statt, global synchronisiert, obschon heute bekannt ist, dass so gut wie nichts vom offiziellen Corona-Narrativ evidenzbasiert war. Gerade vor diesem Hintergrund wirken die gesammelten Zitate noch ungeheuerlicher.
Kuratorium der Schande
Wie könnte man Aussagen vergessen wie die folgende vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und seinem bayrischen Amtskollegen Markus Söder in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom November 2021:
«Die Impfpflicht schützt die Freiheit»
Solche im Orwell-Stil umgedeuteten Aussagen sind einer Demokratie unwürdig. Und es ist noch beschämender, dass sie von einem wirtschaftsliberalen Medium wie der FAZ verbreitet wurden. Nachfolgend einige weitere Zitate aus diesem Buch, entnommen allen Bereichen der Gesellschaft.
Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident, im November 2021:
«Diejenigen, die sich nicht impfen lassen […] , gefährden uns alle.»
Joachim Gauck, ehemaliger Bundespräsident, im Dezember 2021:
«Weil sie [die Ungeimpften] ein Freiheitsverständnis haben, das andere beschädigt.»
Bei Steinmeier und Gauck seien die Aussagen gerade deshalb so schlimm, weil sie ihre integrative Gesellschaftsfunktion nicht wahrgenommen hätten, nämlich ein Gleichgewicht darzustellen und Spannungen abzufedern. Statt zu einen, hätten sie gespalten.
Christian Vooren, Redakteur ZEIT Online, im November 2021:
«Was es jetzt braucht, ist nicht mehr Offenheit, sondern ein scharfer Keil. Einer, der die Gesellschaft spaltet.»
Nikolaus Blome, Kolumnist Spiegel Online, im Dezember 2020:
«Ich hingegen möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.»
Günther Jauch, Fernseh-Moderator, im Januar 2022:
«Mir fehlt jedes Verständnis für Leute, die sich nicht impfen lassen wollen.»
Andreas Läsker, Manager der Band «Die Fantastischen Vier», im Dezember 2021:
«Hat jemand eine Idee, wie wir jemals aus dieser Pandemie kommen sollen, wenn sich Millionen von ultra-asozialen Vollidioten einfach nicht impfen lassen wollen? Wenn diese Deppen allen Ernstes glauben, dass man an der Impfung stirbt, und das, obwohl sie bereits milliardenfach [!] weltweit verabreicht wurde?»
Prof. Frank Ulrich Montgomery, Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes, Radiologe, Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Apotheker- und Ärztebank, im Dezember 2021:
«Aber wenn sie ungeimpft auch nicht mehr arbeiten können, brauchen sie auch keinen öffentlichen Personennahverkehr mehr, um dahin zu kommen. Ja, so hart ist das!»
Patrick Zahn, CEO von KIK-Textilien und Non-Food GmbH, im November 2021:
«Kik-CEO fordert Impfpflicht in Deutschland: ‹Die Impfstoffe sind sicher›»
Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender der Mercedes-Benz Group AG, im Juni 2021:
«Impfen ist ein Statement für Vernunft, Solidarität und Fortschritt.»
Anne Haug, Triathletin, im August 2021:
«LASS DICH IMPFEN! Triathletin Anne Haug und medi machen sich stark im Kampf gegen Corona.»
Prof. Christoph Rehmann-Sutter, Professor für Theorie und Ethik der Biowissenschaften an der Universität zu Lübeck, im Dezember 2021:
«Ich sehe keine ethischen Gründe, Impfpflichten abzulehnen.»
Dr. med. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVJK), im März 2022:
«Ungeimpfte Erwachsene (…) schränken mit ihrem Verhalten die Grundrechte der Kinder ein.»
Nichts gelernt?
Laut den Autoren hat Corona auch gezeigt, wie eng der öffentliche Meinungskorridor mittlerweile geworden ist. Diese Entwicklung ist seit mehreren Jahren zu konstatieren; darin decken sich die Einschätzungen der Autoren mit denen anderer Beobachter wie etwa Raymond Unger. – «Wo war das Humane? Und wo war der gesunde Menschenverstand?» fragen die Autoren.
Man hat aus der Geschichte eigentlich nichts gelernt. Im Gegenteil: Man hat sich die Kenntnisse der Massenpsychologie zu eigen gemacht, um die Bevölkerung zu manipulieren. Wenn vom vielbesungenen Rechtsstaat auch nur ein Häufchen Ernsthaftigkeit übrig bleibt, muss das Geschehene baldmöglichst Konsequenzen haben.
Es sind Instrumentarien gefragt, die Ähnliches in Zukunft verhindern. Im Moment sitzen so gut wie alle Pandemisten noch auf ihren Plätzen. So, als ob nichts gewesen wäre. Und so will das Buch die Forderung nach einer Aufarbeitung weitertragen:
«Was sich sogenannte Meinungsführer einer aus dem Ruder gelaufenen Pandemiepolitik im Umgang mit Ungeimpften, mit Massnahmenkritikern, aber letztlich auch mit allen Bürgern erlaubt haben, muss ein Nachspiel haben – im demokratischen Sinne.»
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Zu den Autoren:
Marcus Klöckner studierte Soziologie, Medienwissenschaften und Amerikanistik. Sein Weg in die Medien führte ihn über den Lokaljournalismus zum politischen Journalismus. Der herrschafts- und medienkritische Blick ist Markenzeichen seiner Arbeit. Im Sinne der Soziologie von Pierre Bourdieu und Charles W. Mills lüftet er den Schleier von Macht- und Herrschaftsverhältnissen in unserer Gesellschaft.
Jens Wernicke ist Diplom-Kulturwissenschaftler und arbeitete lange als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Politik und als Gewerkschaftssekretär. Heute betätigt er sich als Autor und ist Gründer und Herausgeber von Rubikon, dem «Magazin für die kritische Masse».
Buch-Hinweis:
Marcus Klöckner, Jens Wernicke: «Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.» Das Corona-Unrecht und seine Täter. Rubikon, 2022. 208 S., 20,00 €. ISBN 978-3-96789-034-1.
Weitere Infos und Bestellung hier.
Zur Rezension von Roland Rottenfusser bei Rubikon geht’s hier.
Mehr zum Buch bei Rubikon:
- «Die wahre Macht» https://www.rubikon.news/artikel/die-wahre-macht von Kerstin Chavent, Elisa Gratias, Jens Lehrich
- «Wir vergessen nicht!» https://www.rubikon.news/artikel/wir-vergessen-nicht von Flo Osrainik
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