Die Nachricht selber ist «durch»; ihre Tragweite hingegen, so scheint mir, haben wir noch kaum erfasst. Die Rede ist von dem Protestbus von Citizen-Go. Vertreter dieser Plattform für Petitionen wollten damit ein Zeichen setzen gegen die blasphemische Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele. Das ist ihnen gelungen, wenn auch anders und vielleicht wirkungsvoller als sie selbst gedacht hatten.
Am vergangenen Montagmorgen fuhr der markant bemalte Bus durch Paris, zur Freude vieler Passanten, wie die Organisation dann in einer Pressemitteilung schrieb. Bewaffnete Polizisten zwangen die Fahrgäste jedoch bald zum Aussteigen. Auf der Wache wurden ihnen Handschellen angelegt. Die Nacht verbrachten sie nach vollständiger Leibesvisition in Zellen mit offenen Latrinen, teilweise ohne Nahrung und Wasser.
Ein Anwalt bereitete dem Spuk tags darauf ein Ende. Zurück bleiben zunächst tief betroffene Aktivisten, aber auch ehrgeizige Rechtsanwälte, die nun auch «gegen hochrangige Schlüsselfiguren» der französischen Politik vorgehen werden.
«Es handelt sich um ideologische und politische Verfolgung. Wir werden nicht zulassen, dass Ihre [sc. der Citizen-Go-Unterstützer] Stimme zum Schweigen gebracht wird», heißt es weiter in der Pressemitteilung.
Die Ironie im Ganzen: Der Bus des Anstoßes war die ganze Zeit über direkt vor der Polizeiwache in der Pariser Innenstadt geparkt, unweit des Triumphbogens. Für überragende Aufmerksamkeit dürfte dann aber die Polizeieskorte gesorgt haben, die auf ihren Motorrädern schließlich die ungebetenen Gäste zur Stadt hinausbegleitete.
Dieses Geschehen folgt exakt dem im letzten Wort zum Sonntag beschriebenen Muster:
- Eine Provokation gegen Glauben oder Recht beantworten wache Zeitgenossen mit einer ebenso tapferen wie originellen Aktion, «klug» und «ohne Falsch».
- Daraufhin folgt von außen der sozusagen nächste Streich, und die Protestler werden staatstheatralisch abgeführt; «sie werden euch den Gerichten [und ihren Helfern] überantworten», Matthäus 10,17.
- Genau dies eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die eigene Botschaft und das Zeugnis, und sei es durch einen markant geparkten Bus oder eben eine kleine Triumph-Fahrt unter offiziösem Begleitschutz.
Letzteres entspricht dem Wort:
«Und man wird euch vor Statthalter und Könige führen um meinetwillen, ihnen und den Heiden zum Zeugnis»; Matthäus 10,18.
Mitten drin fühlt sich das jedoch anders an. Die Freunde der Aktivisten waren längere Zeit im Ungewissen, und die Verhafteten selber wussten nicht, wie ihnen geschah. So etwas kostet Kräfte, das ist keinesfalls zu unterschätzen oder kleinzureden. Ebenso muss dieses Unrecht, das ihnen angetan wurde, verfolgt und bestraft werden. Aber auch dies möge zu den guten Früchten dieses Einsatzes gehören.
Jede der beiden Seiten hat sich offenbart. Und wird sich weiter offenbaren. «Der Jünger steht nicht über dem Meister und der Knecht nicht über seinem Herrn», sagt Jesus. Was in dieser Zeit also gefragt ist, sind ein wacher Verstand, ein fühlendes Herz und ein Geist, der auf die Zeichen der Zeit zu antworten weiß.
«Die Luft wird klar werden. Voll Feindschaft und Gefahr, aber sauber und offen»,
schrieb der katholische Theologe Romano Guardini schon im Jahr 1950 in seinem Büchlein «Das Ende der Neuzeit. Ein Versuch zur Orientierung» (Seite 124).
Jene Gemeinschaft im Bus war «Rolling Church» der neuen Art. Vor einiger Zeit hatte ich diese wie folgt beschrieben:
«Sie lebt und webt frei in den Häusern und auf den Plätzen, wo Not und Hoffnung eine Sprache finden, wo man Umstände heilig verwünscht und Änderung sehnlich erfleht; wo man dem Elend ins Auge schaut, weil der Glaube dafür den Mut gibt, und wo eine Welt, die ihr eigenes Ende nicht schnell genug herbeiführen kann, wieder eine Blaupause dessen ahnt, was Menschsein und Miteinander heißen können.»
Citizen der Neuen Zeit: Go!
************
Wort zum Sonntag vom 4. August 2024: Mutterwitz im Widerstand
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
Kommentare