Transition News: Sind Sie Teil der «Agrarwende»?
Simon Junge: Dieser Begriff wird überall verwendet und ist einfach nur eine politische Phrase wie «Klimawandel» oder «Agenda 2021». Es braucht in der öffentlichen Debatte immer diese Schlagwörter, um eine Bewegung zu bündeln. Aber Agrarwende ist einfach eine Phrase.
Wenn man die Landwirtschaft kennt, dann kennt man auch die Untiefen, all die Baustellen und vielleicht auch den Kipppunkt, ab dem man von einem Wendepunkt in der Entwicklung sprechen kann. Aber Agrarwende ist für mich Polemik. Ich bin objektiv gesehen irgendwie Teil der Agrarwende, aber ich will mit diesem politischen Geschwätz nichts zu tun haben.
Bei der Agrarwende schwingt ja auch mit, dass eine große Veränderung von oben vorgegeben werden soll. Aber Sie betreiben schon seit längerer Zeit eine andere Landwirtschaft – Ihre persönliche Agrarwende sozusagen. Sie wollen sehr wohl Veränderung in der Landwirtschaft, wie sieht diese aus?
Das Persönliche würde ich in dem Zusammenhang sogar vermeiden wollen. Ich habe natürlich meinen persönlichen Blick und meine Sicht auf die Angelegenheit, aber im Großen und Ganzen geht es um Dinge, die aus unterschiedlichen Perspektiven zu erkennen und damit eher überpersönlich sind. Da kann man verschiedene ökologische Aspekte herausgreifen, mit denen wir Natur beschreiben. Und um mal einen populären zu nehmen: den Kohlenstoff im Boden – den wir eigentlich Humus nennen.
Kohlenstoff im Boden ist auch so eine notwendige Verengung auf ein Schlagwort, damit man irgendwie klarmachen kann, wovon eigentlich die Rede ist. Natürlich liegt der Kohlenstoff in tausend verschiedenen Konfigurationen vor, aber man weiß damit ungefähr, was gemeint ist.
Was ist damit gemeint?
Kohlenstoff im Boden ist die Menge an Kohlenstoff beziehungsweise Humus, die wir im Boden halten und aufbauen können. Und je nachdem wie man wirtschaftet, hat das Effekte darauf.
Man weiß, wie sich über die vergangenen einhundert oder mehr Jahre der Kohlenstoff im Boden entwickelt hat, oder wie sich die Begradigung von Flüssen auf die Fließgeschwindigkeit auswirkt, wie sich das Verhältnis von Wald und Feld auf die Erwärmung der Oberfläche auswirkt und so weiter.
In diesen Bereichen haben über die Jahrhunderte und ganz besonders durch die Industrialisierung der Landwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg massive Veränderungen stattgefunden. Und nehmen wir mal die folgenden Faktoren – es sind natürlich noch viel mehr – Kohlenstoff im Boden, Verweildauer des Wassers auf der Oberfläche und biologische Vielfalt: Das sind drei bedeutende biologische Faktoren.
Und das Schöne dabei ist, man kann über diese Faktoren sprechen, ohne gleich in eine Kontroverse über Klimawandel zu geraten – ob man das jetzt glaubt oder nicht – weil das alles im Bereich der persönlichen Wahrnehmung und Nachvollziehbarkeit liegt. Für den Kohlenstoff im Boden braucht man vielleicht ein fachliches Auge, aber man kann bereits mit einfachen Mitteln nachmessen, wie sich der Kohlenstoffgehalt in den Böden verändert und vor allem wie schwierig er sich regenerieren beziehungsweise aufbauen lässt.
Wir haben seit 1900 einen Abbau von Bodenkohlenstoff, weil unsere Möglichkeiten, den Boden zu bewegen, seit der industriellen Revolution immens gewachsen sind. Das darf man nicht unterschätzen: Durch die mechanischen Möglichkeiten können wir jeden Boden bei fast jedem Wetter irgendwie bearbeiten.
Und wie hängt die Bodenbearbeitung mit dem Kohlenstoff zusammen?
Je mehr ich Boden bearbeite, desto mehr Sauerstoff bringe ich in den Boden und desto mehr unterstütze ich oxidative Prozesse, die Kohlenstoff, also die biologisch aktiven Substanzen, veratmen. Und die sind immer kohlenstoffbasiert. Organische Verbindungen, biologisch aktive Substanzen, werden durch Oxidation abgebaut, sodass sie letztlich zu Salzen, Mineralien werden. Der landwirtschaftliche Fachbegriff dafür ist «Mineralisierung», also der Abbau von komplexen organischen Substanzen zu Wasser, CO2 und Salzen.
Das heißt, die Mineralisierung muss immens zugenommen haben?
Für dieses Immense muss man erst das Bewusstsein entwickeln, weil man das nur in bestimmten Situationen direkt sehen kann: Wenn man bei einem Bauern ist, der seit vielen Jahren gut gewirtschaftet hat, und der Bauer daneben schlecht gewirtschaftet hat, dann kann man tatsächlich an der Feldkante einen Farbunterschied sehen. Auf der einen Seite ist der Boden dunkler und auf der anderen heller, man sieht eine gerade Linie entlang der Bewirtschaftungsgrenze. Das ist eine Schlüsselerfahrung.
Zu Beginn meiner Ausbildung zum Landwirt habe ich Manfred Wenz gehört. Der hat ein Foto gezeigt: Auf der rechten Seite lagen lauter Steine, das war wie grober Kies, der auf der Oberfläche lag. Auf der anderen Seite waren die Steine durch die Bewirtschaftung tatsächlich verschwunden. Beim Nachbarn lag der Kies obenauf, bei Manfred Wenz war er weg. Er hatte Regenwürmer gefördert und die haben jedes Jahr eine Feinbodenschicht an der Oberfläche abgelegt, die einfach über die Steine gewachsen ist. Und wenn man sonst wenig Bodenbearbeitung macht, dann versinken die Steine wieder – normalerweise steigen bei der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung Steine auf. Dieses Bild hat mich begleitet und mich zu einer neuen Landwirtschaft inspiriert.
Auch biologische Vielfalt kann man natürlich sehen. Man kann nachsehen, was man alles findet. Man weiß, was beim Autofahren alles auf der Scheibe kleben bleibt.
Auf der Windschutzscheibe bleiben immer weniger Insekten ...
Ja, natürlich. Wir erinnern uns an Zeiten, als das Auto immer verklebt war – jetzt ist das in der Regel anders. Es gibt tolle Apps, mit denen man Tiere und Pflanzen bestimmen kann. Man kann also relativ schnell und sicher feststellen, wie es um die biologische Vielfalt in einem bestimmten Gebiet bestellt ist.
Und mit dem Wasser ist es auch offensichtlich: Wie viel Fläche ist versiegelt? Welche Wege nimmt das Wasser? Wird es zurückgehalten oder darf es fließen? Wie schnell versickert es oder fließt es oberflächlich ab? Das sind Dinge, die man sehen kann und die für die Vegetation, Artenvielfalt und Humusbildung eine Rolle spielen. Aber auch das Kleinklima oder das lokale Klima hängt von dieser Wasserzirkulation ab.
Und so könnte man jetzt alle möglichen Faktoren durchgehen. Aber wenn man mal diese drei – Kohlenstoff im Boden, Verweildauer des Wassers auf der Oberfläche und biologische Vielfalt – nimmt, kann das eigentlich jeder, wenn er sich ein bisschen Mühe gibt, nachvollziehen.
Landwirten fällt das leichter, weil sie vielleicht noch Messdaten haben und jeden Tag draußen sind und im Prinzip nur ein bisschen aufmerksamer sein müssen als sonst, um diese Dinge beurteilen zu können.
Weniger Bodenbearbeitung, weniger Versiegelung. Meinen Sie mit neuer Landwirtschaft ein Zurück zum Alten?
Man kann schnell zu dem Schluss kommen, das wäre das, was die Alten gemacht haben. Aber wenn man in der Landwirtschaft drinsteckt, weiß man, dass es etliche Sachen gibt, die uns fundamental von dem unterscheiden, was die damals gemacht haben. Vor allem das Bewusstsein ist anders. Landwirtschaft war eine uralte Tradition und fatal unbeweglich: Je nachdem aus welcher Region man kam, hatte man in diesen Traditionen eine umfassende Weisheit oder einen tradierten gesellschaftlichen Notstand. Es sind ja schon in der ferneren Vergangenheit landwirtschaftliche Fehler gemacht worden.
Aber es hatten sich eigentlich fast bis in unsere Zeit, also bis ins 20. Jahrhundert, landwirtschaftliche Traditionen erhalten, die ich als instinktiv bezeichne. Die sind wirklich uralt und eigentlich auch richtig. Aber diese Art der Bewirtschaftung ging im Laufe des 20. Jahrhunderts endgültig verloren. Es gibt eigentlich kaum einen Landwirt, der nicht durchindustrialisiert wurde: Sie denken alle nur noch an Spritzmittel und PS-Klassen.
PS wie die Pferdestärken der großen Maschinen?
Genau. Wie groß der Traktor sein muss und was ich für eine Flächenleistung damit habe. Das Alte gibt es einfach nicht mehr. Die Traditionalisten sind mittlerweile die, die bei irgendeinem Problem meinen, das und jenes spritzen zu müssen. Das begegnet mir eigentlich aktuell als Tradition. Die neuen Pioniere dagegen sagen: Wir müssen lernen, die ökologische Situation zu beurteilen.
Pionieren geht es also darum, die Ursachen zu verstehen?
Ja. Es braucht eine ganzheitliche Betrachtung der Naturzusammenhänge, die uns zeigt, wie die Natur auf bestimmte Belastungen und Vereinseitigungen reagiert – Pflanzenkrankheiten, Mangelerscheinungen, Schädlinge sind die Folge. Und diese ganzheitliche Betrachtung der Naturzusammenhänge steht ganz am Anfang.
Selbst bei den biologischen Landwirten ist das nicht anders. Man kann biologische und konventionelle Landwirtschaft als ein und dieselbe Tradition sehen: Beide arbeiten problemorientiert – auf einer einseitigen wissenschaftlichen Grundlage basierend.
Sie beschreiben sowohl die konventionelle als auch die biologische Landwirtschaft als traditionell. Was wäre denn neu?
Die neueren Impulse in der regenerativen Landwirtschaft suchen ein ganzheitliches, wissenschaftlich fundiertes Verständnis. Zwar kennen wir seit den 70er-Jahren schon Bill Mollison und seine Permakultur, aber wie viel wirklich klares, wissenschaftlich fundiertes Bewusstsein steckt da drin?
Bill Mollison hat viele Leute völlig berechtigt zum Träumen inspiriert. Aber die heutige wissenschaftliche Grundlage stellt sich als vollständiger, weitreichender dar und kann dem modernen Erkenntnisanspruch mehr Substanz geben, als das Bill Mollison mit seiner wunderschönen Bewegung konnte.
Da schwingt Kritik an der Permakultur-Bewegung mit ...
Für mich bedeutet Landwirtschaft ein allgemeines Naturverständnis, das Perspektiven und Lösungsansätze für jede Dimension bietet. Ich habe Permakultur-Vertreter kennengelernt, die keine besonders guten Landwirte waren, sondern eher eine Art von Subsistenz-Utopie, also Selbstversorgung, vertreten haben. Permakultur hat ganz viele Leute dazu inspiriert, kleine Inseln zu schaffen, die so etwas wie ein Autarkie-Ideal verströmen.
Die regenerative Landwirtschaft richtet sich allerdings an professionelle und auch gewinnorientierte Landwirte, also an Menschen, die wirklich von ihrer Landwirtschaft leben wollen.
Aber noch einmal zurück zu dem, was ich problemorientierte Landwirtschaft nenne: Das war sozusagen der erste Versuch einer wissenschaftsbasierten Landwirtschaft, und der ist gründlich schiefgegangen.
Viele Menschen beschweren sich, dass Obst und Gemüse nach nichts schmecken. Hängt das damit zusammen?
Man hat den Weg des Kunstdüngers und in der Folge der synthetischen Pflanzenschutzmittel beschritten und damit auch eine gewisse Perfektion erreicht, woraus sich aber wenigstens zwei Folgen ergeben: Erstens, der Vitalstoffgehalt hat dramatisch abgenommen. Wir merken es daran, dass die Sachen einfach nicht mehr schmecken, dass sie teilweise Allergien auslösen und so weiter. Es ist höchst bedenklich, was da an Nahrungsmittelqualität rauskommt. Zweitens hat die biologische Vielfalt und somit die Stabilität unserer landwirtschaftlichen Ökosysteme dramatisch abgenommen.
Diese Dinge leuchten jedem ein, aber sie finden schleichend statt – so wie der Humusabbau in den Böden. Was hier passiert, ist der totale Wahnsinn. Aber man hat es sehr leicht – zumindest wenn man einen Fernseher zu Hause hat – an diesen Dingen vorbeizuschauen. Als normaler Mensch, der in der Stadt lebt, ist man von diesen Dingen völlig isoliert. Selbst wenn man Landwirt ist, konsumiert man genug manipulative Informationen, die es einem möglich machen, diese Dinge entweder zu übersehen oder völlig falsch einzuordnen.
Bei Aussagen wie: «Wenn wir nicht spritzen würden, hättet ihr lauter krankes Zeug auf dem Teller.» merkt man, wie eine ganze Agrarindustrie an diesen Sätzen gearbeitet hat. Solche Märchen werden in Umlauf gebracht, so wie die Lüge, dass die Weltbevölkerung nur konventionell zu ernähren sei.
Wenn man die PR-Maschinerie dafür hat, kann man alles Mögliche verbreiten. Aber das, was wir unmittelbar vor Augen haben, zeigt uns etwas ganz anderes:
Es ist für jeden Menschen zu erkennen, dass die Pflanzen dadurch, dass man die Probleme wegspritzt, krank bleiben. Sie sehen gut aus, aber haben bestimmte Schwächen. Und diese Schwächen wirken sich auf unsere Ernährung aus. Obst und Gemüse schmecken nach nichts, und auch wir Menschen bekommen dadurch Mangelerscheinungen. Das, was wir den Pflanzen antun, wirkt mittelbar auf unsere menschliche Konstitution.
Die traditionelle Landwirtschaft des 20. Jahrhunderts, diese problemorientierte, wissenschaftsbasierte erste Generation von moderner Landwirtschaft, regt einseitig das Wässrige in den Pflanzen an. Pflanzenwachstum wird über die Wasseraufnahme gesteuert, in das Bodenwasser werden Düngemittel und Pflanzenschutzmittel eingebracht, und die Pflanzen müssen das aufnehmen. Die moderne Landwirtschaft hat ein System der Zwangsernährung für Pflanzen entwickelt. Man hat große grüne Pflanzen, die sehen toll aus, aber sie schmecken nicht. Das Wasser ist da, eine gewisse Form ist da, aber keine Qualität.
Und welchen Weg versucht die neue Generation der regenerativen Landwirtschaft zu gehen?
Ein Blick auf die frische Ernte; Foto: GranDeliSee.
Sie versucht, eine breitere wissenschaftliche Basis zur Grundlage der Landwirtschaft zu machen. Es geht in die Richtung der Ganzheitlichkeit – wie man so schön sagt.
Wir müssen bei der Betrachtung der Pflanze nicht nur die mineralische Grundlage der Pflanzenernährung berücksichtigen, sondern dass diese in einen biologischen und vor allem mikrobiologischen Kosmos eingebettet ist.
Wir haben überall Biologie und Mikrobiologie, die eine Art Biosphäre um jede Pflanze herum bilden. Und die Vielfalt dieser Sphäre entscheidet darüber, wie die Pflanze wächst. Die Vermittlung von Mineralien, die wir als konventionelle Landwirte über direkte Kanäle – zum Beispiel über das Bodenwasser, über Blattdüngung – der Pflanze aufzwingen, überlassen wir der Biologie beziehungsweise der Mikrobiologie.
Um Ihre Formulierung aufzugreifen, was bedeutet es, Mineralien über die Biologie zu vermitteln?
Dass ich nicht mehr die Pflanze direkt dünge, sondern frage: Wie kann ich die Biologie, von der die Pflanze umgeben ist, vervollständigen. Zur Pflanze gehört eine ganze mikrobielle Umgebung, die sich auf ihren Blattoberflächen, aber insbesondere in ihrem Wurzelraum ausbreitet, und die fortwährend mit dem pflanzlichen Leben konstruktiv korrespondiert.
Die Pflanze züchtet ab dem Zeitpunkt, wo man das Samenkorn in den Boden legt, um sich herum eine artspezifische Biosphäre an, also Bodenorganismen, die eine hochkomplexe Organisation des Stoffwechsels leisten können. Und wenn man die Pflanzen mit mineralischen Düngern direkt anspricht, kommt man nicht in diese Komplexität.
In der regenerativen Landwirtschaft sagen wir, direktes Düngen ist zu grob. Wir können niemals so exakt, so fein düngen, wie es die Natur vermag. Und deshalb verlagern wir die Aufmerksamkeit von der unmittelbaren Ernährung der Pflanze auf die Stärkung ihrer biologischen Umgebung und versuchen, möglichst viele Düngungsimpulse und Ernährungsaufgaben der Biosphäre der Pflanze zu überlassen.
Fragen Sie dabei auch nach den physiologischen Grundlagen: Wie ist der Kalk im Boden? Ist genug Kupfer oder Schwefel vorhanden?
Das fragen wir uns alles. Aber nicht nur in Bezug auf die Pflanze direkt, sondern auch – und teilweise sogar schwerpunktmäßig – in Bezug auf das Bodenleben oder die Biosphäre. Denn das Leben beschränkt sich nicht nur auf den Boden. Das Leben findet auch in der unmittelbaren Umgebung der Blätter und Blüten statt. Alles ist besiedelt, bis in die Luft hinein haben wir Steuerkreise. Je nachdem wie die Luft gestimmt ist, kann eine Pflanze sich entsprechend verhalten. Und auf die Zusammensetzung der Luft kann man als Mensch einen gewissen Einfluss ausüben.
Wie können Landwirte Einfluss auf die Luft nehmen?
Das einfachste Beispiel ist, dass man das bodennahe CO2 anreichert, indem man den Wind bremst: Hecken baut, Pappeln pflanzt, viele Bäume in der Landschaft hat oder Gras einfach nur höher wachsen lässt. Hat das bodennahe CO2 eine längere Verweildauer, wird es nicht so schnell weggeweht und kann damit einen Düngeeffekt auslösen.
Und es gibt auch biologische Prozesse, die atmosphärisch basiert sind – das ist aber schwer zu greifen. Man merkt nur, dass es nicht egal ist, ob in einer feuchten, besprühten Atmosphäre ein Ferment oder eine sonstige biologisch wirksame Substanz enthalten ist oder nicht. Damit kann ich biologische Funktionen, zum Beispiel Pilzbildung oder Mehltau, regulieren oder provozieren.
Nochmal eine Frage zum Begriff «regenerativ». Was will die regenerative Landwirtschaft wiederherstellen beziehungsweise erreichen?
Regenerativ bedeutet in diesem Fall wiederaufbauend. Die Auffassungen weltweit davon sind recht ähnlich, aber trotzdem unterschiedlich, weil es kein fest definierter Begriff ist. Ich kann nur empfehlen, sich die Definition von Dietmar Näser anzusehen: Kohlenstoff im Boden, Wasserhaltefähigkeit und biologische Vielfalt wird man da leicht wiederfinden.
In der regenerativen Landwirtschaft wollen wir ergebnisorientiert arbeiten. Und das definieren wir über positive Ziele: Ein Ziel ist zum Beispiel, nicht generell Bodenbearbeitung zu vermeiden, sondern den Kohlenstoffgehalt im Boden zu erhöhen – und dafür ist eine Reduktion der Bodenbearbeitung ein naheliegendes Mittel.
Regenerativ heißt aber auch, dass es immer weitergehen kann. Der Kohlenstoffgehalt der Böden lag vor 200 Jahren bei fünf Prozent. Und wenn wir fünf Prozent Humus großflächig erreicht hätten, vielleicht ginge es noch weiter bis acht Prozent. Wer weiß. Und was passiert dann? Kommen wir dann in neue Dimensionen, die es so vielleicht in der Naturentwicklung noch gar nicht gegeben hat, die aber unter Umständen sinnvoll wären anzustreben? Das ist eine Frage, die dann eigentlich über das Regenerative hinausgeht: Wohin lässt sich überhaupt ein Naturzusammenhang entwickeln, selbst wenn es dafür gar keine Beispiele in der Geschichte gibt?
Seit wann betreiben Sie regenerative Landwirtschaft?
Ich hatte mein Leben lang diesen Anspruch, dass die Landwirtschaft der Erde gut tun muss. Und vor kurzem habe ich in Brandenburg die Gemüsebau-Initiative GranDeliSee gegründet. Als Genossenschaft machen wir den regenerativen Anspruch zu einer öffentlichen Verpflichtung. Im Zuge dessen wurde mir klar, dass ich mich noch weiterbilden möchte. Und mit dem, was ich gelernt habe, kann ich sagen, dass es höchst zweifelhaft ist, ob ich vorher wirklich regenerativ gearbeitet habe – was den Bodenaufbau und die biologische Vielfalt betrifft.
GranDeliSee wird als solidarische Landwirtschaft betrieben. Aber was ist das Regenerative daran?
Wir setzen uns konkrete Ziele. Die Grundsteinlegung für das Projekt war die Einrichtung einer Baumanlage. Also das, was man heute Agroforst nennt. Wir hatten viel Freude daran, 90 verschiedene Arten zusammenzutragen und anzupflanzen. Allerdings mit dem Effekt, dass diese Anlage fördertechnisch als Agroforst nicht anerkannt wird, da sich eine derartige Artenvielfalt mit den Richtlinien nicht verträgt – das nur als kleine Spitze dazu, wie heute mit innovativen Impulsen umgegangen wird.
Eine Landwirtschaft mit Weitblick in Brandenburg; Foto: GranDeliSee.
Was bedeutet Agroforst?
Das ist eine locker baumdurchsetzte Landschaft, die man sowohl forstlich als auch ackerbaulich nutzen kann. Zwischen den Bäumen ist noch genug Platz, um die Flächen zu bewirtschaften. Es sind in unserem Fall Baumreihen mit Abständen von 8,5 bis 12 Metern.
Was sind das für Bäume?
Also wie gesagt, 90 verschiedene Arten, heimische und auch exotische Bäume mit einem gewissen Schwerpunkt auf schnell wachsende Gehölze, wie zum Beispiel Pappeln, Weiden, Erlen, aber auch Leguminosen, also Hülsenfrüchtler – da gehört zum Beispiel die Robinie dazu. Es gibt noch Leguminosen-Sträucher oder auch Ölweidengewächse, die ebenfalls eine gewisse eigene Stickstoffversorgung in ihrer Mikrobiologie organisiert haben. Und dann haben wir Wildäpfel und alle möglichen Beeren.
Und dazwischen steht noch mal eine biologische Vielfalt als Gründüngung: Wir haben gleich 30 Arten auf einmal ausgesät, die dann in der Reihenfolge wie sie blühen und wie sie sich über die Monate und Jahre entwickeln, ein weiteres großes Vielfaltsreservoir bieten. Einmal im Jahr machen wir zu unserem Hoffest eine Führung mit dem Designer der Anlage – er kann stundenlang erzählen, was das für Arten sind.
Also der Gründungsimpuls für GranDeliSee war die biologische Vielfalt. Wir haben eine Monokultur ausgerodet, das waren nur Apfelbäume mit Gras drunter, haben gepflügt, eingesät und in die Zwischenräume Bäume gepflanzt, sodass sich dort eine Vielfalt von über 100 Arten findet, die wir selbst eingebracht haben.
Sie haben auf einer Fläche von zwei Hektar also über 100 Arten eingebracht. Was soll dadurch erreicht werden?
Ziel ist, eine Zusammensetzung der biologischen Vielfalt herzustellen, die potenziell bodenaufbauend ist. Insbesondere die Kombination von Leguminosen und Gräsern ist die Schlüsselkomponente für eine möglichst breite Mikroflora im Boden. Und eigentlich gehört noch Kohl dazu – davon haben wir im Gemüsebau natürlich relativ viel. In der Gründüngung ist Kohl in bestimmten Phasen auch noch enthalten, aber da haben wir in GranDeliSee noch ein bisschen Verbesserungsbedarf. Besonders auf großen Flächen, wo wir mit dem Gemüsebau nicht hinkommen, wollen wir den Kohl – also alles Senf-, Rettich- oder Kohlartige – noch fördern.
Wie misst man denn den Erfolg dieser solidarischen regenerativen Landwirtschaft?
Die biologische Vielfalt und auch die Baumdurchsetzung können gemessen und quantifiziert werden. Außerdem geht es um die Art der Bewirtschaftung selbst und wie man mit Kohlenstoff umgeht. Das ist ein ganzer Strauß von Arbeiten, die der Landwirt das Jahr über zu tun hat, sowohl bodenvernichtende Tätigkeiten, wie Bodenbearbeitung, als auch Humusmanagement, im Sinne von Kompost oder Gründüngung.
Wir versuchen die Bodenbearbeitung zu reduzieren – wir müssen im Gemüsebau teilweise viel Bodenbearbeitung machen – und durch den Einsatz von Fermenten die Verarmung des Kohlenstoffs zu minimieren, der durch den Sauerstoffeintrag entsteht. Sodass die Oxidation in dem Moment, wo man den Sauerstoff reinbringt, durch eine zusätzliche Impfung gebremst wird.
Wir können versuchen, Kohlenstoff in Form von Kompost dazuzugeben – das ist aber ein heikles Thema –, und wir können die Mikrobiologie direkt fördern. Das ist gewissermaßen das zentrale oder populärste Element der regenerativen Landwirtschaft, dass man über Flüssigdünger beziehungsweise Blattdünger das Bodenleben direkt oder indirekt aufbaut.
Wie kann das Bodenleben indirekt aufgebaut werden?
Der direkte Aufbau von Bodenleben würde heißen, wir verflüssigen Kompostsubstrate, die wir möglichst selbst herstellen, die also vor Ort aus der vorhandenen mikrobiellen Atmosphäre heraus gewachsen sind, und reichern damit den Boden an. Das bringt starke Effekte. Aber man hat noch stärkere Effekte, wenn man das nicht direkt macht, sondern indirekt über die Pflanzen.
Anstatt direkt das Bodenleben anzuregen, ist es klüger, eine Pflanze dazu zu bringen, für das Bodenleben tätig zu werden. Das ist jetzt zweimal um die Ecke gedacht: Ich will eine gute Pflanze haben, dafür fördere ich das Bodenleben. Um das Bodenleben zu fördern, fördere ich die Pflanze. Dabei geht es aber nicht um die direkte Düngung der Pflanze, sondern um die Reizung der Pflanze, damit sie biologisch aktiv wird.
Und das ist ein ganz anderer Ansatz, als eine Pflanze mit dem Fokus auf Ertrag zu düngen. Es ist ein Kreis:
Wir sind von der Pflanze weg, hin zum Bodenleben und wieder zur Pflanze zurückgekommen, weil die Pflanze der Organismus ist, der am besten in der Lage ist, Boden aufzubauen. Das ist sozusagen der zentrale Gedanke, um den Ansatz von regenerativer Landwirtschaft zu verstehen.
Kann man also vereinfacht sagen, dass die Pflanzen über ihre Wurzeln den Boden aufbauen?
Ja. Zur Biologie gehören nicht nur die kleinen Tierchen überall, die man natürlich unterstützen kann. Wenn ich sage, wir brauchen für eine optimale Bodenentwicklung Gräser, Leguminosen und Kohl in einer breit aufgestellten Gründüngung, dann hat das mit der Mikrobiologie zu tun. Gräser kultivieren eine bestimmte Mikrobiologie, so wie die Leguminosen und die Kohlpflanzen und jede andere Pflanze natürlich auch. Sie haben ihre mikrobiologische Mission.
Die Besiedlung des Bodens wird durch vegetative Vielfalt gesteuert. Das können wir natürlich durch Aussaat, aber auch durch die Kultivierung dieser Pflanzen erreichen, also wie und ob wir sie mähen oder blühen lassen. Außerdem durch die weitere Düngung und Reizung.
Und die klügste, risikoärmste und materialextensivste Möglichkeit ist die Düngung der Pflanze übers Blatt. Ich versuche also, einen Reizungsimpuls in das Pflanzenwachstum zu setzen, der die Pflanze anregt, harmonischer und intensiver in ihrem Stoffwechsel zu sein. Und das geht interessanterweise wieder über die Mikrobiologie. Jetzt sind wir im Zirkelschluss noch mal eine Stufe weiter: Ich kann die Pflanze mikrobiologisch anregen, indem ich ein mikrobiologisches Präparat auf die Pflanze bringe. Und das regt die Pflanze an, ihrerseits aktiver im Stoffwechsel zu werden und so den Aufbau ihrer individuellen artspezifischen Mikrobiologie im Boden zu verstärken.
Was sind die Vorteile dieser Methode?
Diesen Effekt kann ich mir zunutze machen. Dieser Umweg über die Pflanze hat den Vorteil, dass ich mit sehr geringen Mengen arbeiten kann. Ich muss nicht tonnenweise Zeug auf den Boden kippen, sondern ich überlasse die Arbeit der Pflanze. Und die Pflanze ist sehr sensibel, sie reagiert auf feine Ansprachen, und da reicht es eben, wenn ich die Atmosphäre verändere.
Beispielsweise die Art und Weise, wie Licht von der Pflanze aufgenommen wird: Wenn ich da ein bisschen eingreife, indem ich ein mit Kiesel versetztes Präparat spritze, verändert das die Stoffwechselintensität im Blatt. Das ist wie Homöopathie, es sind so geringe Mengen: 30 Liter pro Hektar, also drei Milliliter auf einen Quadratmeter; und die erzeugen schon nach zwei Stunden einen messbaren Stoffwechseleffekt. Die Pflanze kann mit dem Licht plötzlich mehr anfangen. Kurz gesagt: Ich kann den Stoffwechsel der Pflanze anregen, und das kommt dem Boden zugute.
Ich kann die Pflanze aber auch mikrobiologisch reizen. Einen ähnlichen Effekt kann ich zum Beispiel auch durch eine Art Heuaufguss erzeugen: Ich tauche Heu in Wasser, lasse das bei einer bestimmten Temperatur mindestens 24 Stunden stehen, und dann kann ich dieses Wasser spritzen. In der Heukultur sind natürlich alle möglichen Organismen, aber auch Kieselbestandteile, die bei der Abreife von Gras an den Blattoberflächen sitzen. Und dieses leicht verkieselte, leicht vergorene Wasser vermittelt einen Stoffwechselreiz. Ich brauche dafür ganz wenig.
Und mit dem richtigen Knowhow – da brauchen wir wieder eine exakte, ganzheitliche Wissenschaft – zur richtigen Tageszeit, in der richtigen Menge und Wachstumsphase eingesetzt kann mich das vorwärtsbringen.
Und das populärste und zentralste Werkzeug in der regenerativen Landwirtschaft ist der sogenannte Komposttee oder Kompostauszug, Kompostextrakt. Ich nehme also Kompost – möglichst guten Kompost – und bringe den in eine flüssige Phase. Das heißt, ich spüle alles raus, was wasserlöslich ist, das ist hauptsächlich mikrobiell, das was durch ein feines Sieb noch durchgeht, und bringe das direkt aus.
Oder ich aktiviere den Kompostauszug noch mal mit Sauerstoff und Zucker. Dieses Verfahren macht es möglich, mit geringen Mengen Kompost auszukommen, aber es braucht ein bisschen mehr Technik. Und die Verflüssigung macht es möglich, dass ich schnell überall hinkomme und das auch öfter machen kann.
Auch unsere konventionellen Kollegen fahren mit ihrer Spritze zehn-, 20-, 30-mal im Jahr über den Acker, je nachdem um was für einen landwirtschaftlichen Bereich es sich handelt. Und sie könnten auch mit einem Kompostauszug darüberfahren und regenerative Landwirtschaft betreiben.
Das klingt nach einer Möglichkeit, die konventionelle Landwirtschaft mit ihren großen Flächen und teurem Fuhrpark umzustellen und trotzdem überleben zu können ...
Einige machen das bereits und haben damit Erfolge. Landwirtschaft ist dadurch nicht einfacher, aber besser geworden. Die Kollegen müssen sich noch genauso anstrengen, dass Pflanzen gesund sind. Sie müssen genauso aufmerksam beobachten, wie genau sie vorgehen.
Aber sie können das alles mit Mitteln machen, mit denen sie weitgehend autark sind, die sie auf ihrem eigenen Hof gewinnen können und mit denen sie sich selbst und ihre Kunden nicht vergiften.
Regenerative Landwirtschaft ist eine reale Ausstiegsmöglichkeit in heutigen landwirtschaftlichen Dimensionen – anders als bei Permakultur, wo man sein Leben vollkommen umkrempeln und sich vom Konsum und der Technik verabschieden muss. Der landwirtschaftliche Betrieb kann, so wie er ist, mit der vorhandenen Technik, weitergeführt werden – mit Traktor, Spritze, Scheibenegge und allem rundherum.
Man kann aus dieser immer verrückter werdenden Problemorientierung aussteigen. Natürlich muss man die Probleme immer noch im Blick haben, aber der Fokus liegt auf: Wie stärke ich die Pflanze, dass sie selbst die Fähigkeit hat, die Probleme zu regulieren. Nicht ich übernehme das für die Pflanze, indem ich die Atmosphäre mit Schwefel, Kupfer und so weiter manipuliere – das riecht man manchmal, wenn man durch Obstanlagen oder über Felder geht, die frisch gespritzt sind. Die ganze Atmosphäre ist in eine lebensfeindliche Manipulation eingenebelt.
Im Gegensatz dazu riecht es in GranDeliSee dann nach Heu?
Der Kompostauszug ist ganz schwach riechend. Aber am deutlichsten ist es, wenn man zur Bodenbearbeitung Fermente ausgießt. Kurzzeitig hat man einen sehr angenehmen Duft in der Landschaft. Es ist wirklich schön und macht auch die Arbeit angenehmer.
Wie viele arbeiten dort? Kann man sich den Betrieb ansehen und sich über regenerative Landwirtschaft informieren?
Wir sind ein Team von derzeit drei Gärtnern, ich in Vollzeit und die anderen Teilzeit. Eigentlich kann man jederzeit vorbeikommen, von Samstag bis Dienstag ist immer jemand da. Man muss sich nicht anmelden. Mittwoch ist Liefertag, da wird also nur in Ausnahmefällen jemand da sein.
Und wie verknüpfen Sie gesellschaftliche Aspekte mit regenerativer Landwirtschaft?
Jetzt kommen wir zum Sozialen. Was wir in GranDeliSee wirklich völlig neu machen und was für die Landwirtschaft und auch die solidarische Landwirtschaft völlig überfällig ist: Das ist der gesellschaftliche Umgang mit Qualität und die Glaubwürdigkeit von Produkten.
Wir sind nicht damit zufrieden, dass uns irgendeine Kontrollinstanz bestätigt, dass wir gut arbeiten, sondern wir brauchen Menschen, die das Projekt kennen, schätzen, verstehen, und die gegenüber der Öffentlichkeit möglichst zahlreich bezeugen, wie wir arbeiten.
Denn die Richtlinien des allgemeinen Biosiegels bestehen fast ohne Ausnahme aus Verboten. Es geht um Ausschlusskriterien, die sicherstellen, dass die Nahrungsmittel eine biologische Qualität haben. Das ist ein Spiegel dieser problemorientierten Denkweise, die ich schon oft angesprochen habe, bei der das biologische Gleichgewicht gestört wird.
Es gibt nur diesen Katalog von Verboten, und solange man sich daran hält, kann die Landwirtschaft so mies sein, wie es nur irgendwie geht. Und sie ist immer mieser und cleverer geworden, für chemische Manipulation Ausnahmeregelungen zu schaffen.
Die Kartoffelkäfer zum Beispiel hängen mit einer bestimmten Stoffwechselaktivität im Blatt zusammen. Man weiß, dass blattfressende Schadinsekten kommen, wenn die Physiologie im Blatt bestimmte Schwellenwerte erreicht, also wenn der Blattstoffwechsel unter einem bestimmten Aktivitätswert sinkt, dann hat man blattfressende oder blattsaugende Schädlinge – je nachdem, in welche Richtung das Gleichgewicht kippt.
Aber das Blatt wird eben nicht dadurch besser, dass ich diese Organismen beseitige, sondern ich muss dafür sorgen, dass der Blattstoffwechsel ein Niveau erreicht, das die Pflanze für Schädlinge unattraktiv macht. Und das ergibt gleichzeitig das bessere Lebensmittel. Die Früchte halten länger, schmecken besser und sehen auch besser aus. So kann man in der regenerativen Landwirtschaft damit umgehen.
Und wenn man das jetzt alles macht, kommt man in den interessanten Bereich, wo man sagen kann, das ist eine wirkliche Alternative: Ich kann damit von der problemorientierten Wirtschaftsweise auf eine ergebnis- und ganzheitlich orientierte Wirtschaftsweise umstellen. Und zwar naturwissenschaftlich fundiert und mit menschlicher Sensibilität gegenüber Naturzusammenhängen.
Sie hatten im Vorgespräch den 31. August erwähnt, was genau passiert da?
Am 31. August machen wir das, was sonst die Biokontrolle macht, mit dem interessierten sozialen Umfeld des Projekts. Wir bieten einen kleinen Ausbildungstag zur regenerativen Landwirtschaft an, einen kurzen Crashkurs. So können wir das Prüfergebnis einer Kontrollinstanz durch die Wahrnehmung von Menschen ersetzen. Und das ist viel mehr wert.
Wir brauchen in der Gesellschaft ein möglichst breites Verständnis von regenerativen Prozessen. Dazu braucht man theoretischen Input, ein bisschen Handwerkszeug und muss in die Natur gehen und Erfahrungen sammeln. Und innerhalb eines Tages ist da schon ziemlich viel möglich. Man muss kein Spezialwissen mitbringen, sondern nur Interesse für diese Sache.
Wir konnten für den 31. August Dietmar Näser gewinnen, den Pionier der regenerativen Landwirtschaft in Deutschland. Es gibt einen Unkostenbeitrag, 30 oder 50 Euro, Mittagessen ist dabei. Wir wollen dokumentieren, wie sich unsere Arbeit an verschiedenen Stellen der Landwirtschaft konkret auswirkt: wie die biologische Vielfalt, die Bodenstruktur, die Bodenzusammensetzung, die Pflanzenqualität beschaffen sind. Und alle Interessierten tun auch uns den Gefallen, dass sie für uns Zeugen sind.
Wir wollen nicht nur regenerativ arbeiten, sondern dieses Wissen auch vermitteln. Denn das hat die solidarische Landwirtschaft bisher verpasst: Nämlich dieses große Beteiligungspotenzial, das in diesen Gemeinschaftsstrukturen vorhanden ist, für einen neuen biologischen Standard zu nutzen. Also Ziele zu definieren, die dann von dieser breiten Mitgliederbasis ganz bewusst beobachtet und begleitet werden.
Die regenerative Landwirtschaft hat eine Zielorientierung. Und die Synthese mit der solidarischen Landwirtschaft bedeutet, regenerativ zu arbeiten und die Potentiale von solidarischer Landwirtschaft für die Zertifizierung durch ein interessiertes Umfeld zu entwickeln. GranDeliSee ist unser Prototyp für diese Synthese.
Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.
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