Wenn über den hohen Ausländeranteil in der Schweiz gesprochen wird, wird oft behauptet, dass es in keinem anderen Land so schwer sei, die Staatsbürgerschaft zu erwerben und dass der Ausländeranteil so künstlich hochgehalten werde.
Nebelspalter -Chefredakteur Markus Somm hat genauer hingeschaut: Die Realität sieht anders aus. Tatsächlich bürgert die Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern überdurchschnittlich viele Menschen ein. Die Schweiz hat trotzdem einen Ausländeranteil von 27 Prozent (Stand 2023) und 31 Prozent der Bevölkerung sind im Ausland geboren – ein Wert, der sogar klassische Einwanderungsländer wie Australien übertrifft.
Entgegen der weitverbreiteten Meinung, dass die Schweiz besonders strenge Einbürgerungskriterien hat, zeigt die Statistik, dass nur Schweden, Luxemburg und Norwegen in Europa großzügiger sind. Mit 4,7 Einbürgerungen pro 1.000 Einwohnern liegt die Schweiz deutlich über Ländern wie Deutschland (2), Frankreich (1,7) oder Österreich (1,2).
Obwohl das Schweizer Bürgerrecht theoretisch hohe Hürden aufweist, wie umfassende Kenntnisse des Landes und die Integration in die Gesellschaft, zeigen die Zahlen, dass diese Suppe in der Praxis weniger heiß gegessen wird als sie gekocht wurde. Insbesondere in urbanen Zentren wie Zürich erfolgt die Einbürgerung in einem bemerkenswerten Tempo. Einige Beobachter äußern den Verdacht, politisch links dominierte Gemeinden würden versuchen, so den Ausländeranteil auf dem Papier zu reduzieren.
Die Schweiz ist seit Jahrhunderten ein multikulturelles Land, mit vier offiziellen Sprachen, verschiedenen Religionen und einer föderalen Struktur, die jedem Kanton eine gewisse Eigenständigkeit gewährt. Trotz dieser Vielfalt war es den Schweizern immer klar, was einen Schweizer ausmacht – vor allem das Recht, bei demokratischen Entscheiden mitzumachen. Dies scheint gemäß Somm auch ein starker Integrationsfaktor zu sein, der die Einbürgerung von Ausländern erleichtert.
Der Föderalismus zeigt sich auch bei den Einbürgerungen. Ein Kandidat muss zuerst das Gemeindebürgerrecht erwerben, dann das Kantonsbürgerreicht und erst zuletzt winkt mit dem eidgenössischen Bürgerrecht der rote Pass. Verweigert ihm die Gemeinde das Bürgerrecht, kann der Kanton und die Eidgenossenschaft das nicht übersteuern.
Um einen «Einbürgerungstourismus» zu verhindern, gibt es Mindestwohnsitzfristen. Die erleichterte Einbürgerung von Eheleuten nach fünf Jahren Wohnsitz in der Schweiz ist ein Spezialfall und wird direkt vom Bund erledigt.
Von Gemeinde zu Gemeinde unterscheiden sich die Verfahren und die Vorschriften erheblich – oder die wenigen eidgenössischen Vorschriften werden unterschiedlich angewendet. Allgemein ist aber eine Tendenz zur Verrechtlichung des Verfahrens festzustellen. In den meisten Gemeinden sind Einbürgerungskommissionen bestehend aus Fachleuten für die Abwicklung zuständig, aber es gibt immer noch Einbürgerungen durch den Gemeinderat oder per Handerheben bei der Gemeindeversammlung. Einzig das Verfahren per Urnenabstimmung hat das Bundesgericht als verfassungswidrig eingestuft.
Generell sind die Hürden in ländlichen Gegenden höher und in städtischen Gebieten tiefer und das Verfahren unpersönlicher. Die Art wie mit Einbürgerungen umgegangen wird, spiegelt auch die politischen Mehrheitsverhältnisse in der Gemeinde wider.
Die hohe Einbürgerungsquote zeigt aber, dass die Schweiz entgegen landläufigen Annahmen zwar hohe Ansprüche an ihre zukünftigen Staatsbürger stellt, aber auch bereit ist, viele Menschen in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Schweizer zu werden, ist mehr als nur ein administrativer Akt – es ist ein Lernprozess, der in der Gemeinschaft stattfindet und durch die aktive Teilnahme an der Demokratie gefördert wird. Das Ende des Prozesses ist der rote Pass.
Kommentar von Transition News
Der Artikel von Markus Somm zeigt, dass der hohe Ausländeranteil in der Schweiz überhaupt nicht durch hohe Einbürgerungshürden künstlich hochgehalten wird, sondern dass die Schweiz im Gegenteil im europäischen Vergleich großzügig einbürgert. Der rekordhohe Ausländeranteil in der Eidgenossenschaft hat andere Gründe.
Diesbezügliche Vorurteile halten sich aber hartnäckig, weil sich das Verfahren komplett von denjenigen anderer Länder unterscheidet. Die Tendenz geht in Richtung «Einbürgerungsfabrik», wo in einem rechtlichen Verfahren Schweizerinnen und Schweizer entstehen.
In der Schweiz kann man aber am besten lernen, Schweizer zu sein, wenn man in kleineren Gemeinden die gelebte Demokratie beobachtet und daran Anteil hat. Die Verfahren, die dort angewendet werden, haben nicht nur diesen Vorteil. Durch die Bekanntheit und Kleinräumlichkeit entsteht auch Transparenz.
Vor vielen Jahren lebte ich in einer Gemeinde, wo per Handerheben eingebürgert wurde. In einer Hinterzimmer-Absprache hatte ein Grundbesitzer versucht, dem Gemeinderat ein in seinem Besitz befindliches Grundstück zu übertragen, unter der Bedingung, dass er eingebürgert würde. Der Deal flog auf, die Einbürgerung wurde an der Gemeindeversammlung abgelehnt und der Mann, der nicht alle Kriterien erfüllt hatte und trotzdem zur Einbürgerung vorgeschlagen war, blieb Bürger eines Nachbarlandes der Schweiz. Dem Gemeinderat blieb der Protest gegen den Entscheid der Bürger.
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