Die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines beschäftigen die Schweizer Politik (wir berichteten). Mehrere Parlamentarier wollten jüngst von der Regierung wissen, ob sie sich im UNO-Sicherheitsrat für die Aufklärung des Anschlags stark machen wird.
Eine Recherche des US-Reporters Seymour Hersh kam im Februar zum Schluss, dass die US-Regierung hinter dem Anschlag steckt (wir berichteten). US-Geheimdienste behaupteten dagegen kürzlich, dass pro-ukrainische Kräfte hinter der Sabotage der Nord-Stream-Pipelines stehen, was jedoch sehr unwahrscheinlich ist.
Die politisch hochbrisante Angelegenheit war auch Thema der heutigen Sitzung der Aussenpolitischen Kommission (APK) des Nationalrats. Aussenminister Ignazio Cassis ging dabei unter anderem auf den aussenpolitischen Bericht 2022 des Bundesrats ein, der im Februar 2023 veröffentlicht wurde.
Der Fokus des Berichts liegt auf dem Krieg in der Ukraine. Die Regierung spricht von einer Zäsur. Verantwortlich dafür: der russische Angriff im Februar 2022. Der Bericht zeigt unter vielen schönklingenden Phrasen auch auf, dass sich die Schweiz mehr und mehr in Richtung EU/NATO und weg von der Neutralität bewegt:
«Die Schweiz hat sich auf der Seite des Völkerrechts positioniert, EU-Sanktionen mitgetragen und die notleidende ukrainische Bevölkerung solidarisch unterstützt.»
Russlands Krieg gegen die Ukraine bedrohe auch unsere Sicherheit, sagte Cassis heute. Er bedrohe die Freiheit und die Demokratie in Europa.
Die Stellungnahmen von Cassis riefen Roger Köppel auf den Plan. Der SVP-Nationalrat kritisierte, dass im aussenpolitischen Bericht beispielsweise die Nord-Stream-Sprengung «mit keiner Silbe erwähnt wird». Von Cassis wollte er in Erfahrung bringen:
«Werden Sie insbesondere auch fordern, dass Deutschland, Dänemark, Norwegen diese bis jetzt unter Verschluss gehaltenen Untersuchungsberichte, öffentlich machen? Dass muss doch aufgeklärt werden, damit der Rechtsstaat hier – das ist ein Offizialdelikt – zum Durchbruch kommt. Werden Sie persönlich Ihre Stimme im Sicherheitsrat erheben, Herr Bundesrat?»
Cassis’ Antwort:
«Ich verstehe durchaus, dass gewisse kleine Elemente der Weltpolitik innenpolitische Resonanz haben und man somit auch Innenpolitik machen kann. Das tun wir aber nicht in der UNO in New York. Dort behalten wir die notwendige Flughöhe und suchen bei jedem detaillierten Problem, bei jeder Detailfrage einen Weg, um die Schweiz korrekt und richtig zu positionieren. Das machen wir auch in diesem Fall.»
Der Aussenminister meinte zudem, dass Köppel «die für einen aussenpolitischen Bericht notwendige Flughöhe» behalten müsse.
Pipeline-Sprengung als Detailfrage?
Die Nord-Stream-Sprengung scheint für Cassis eine «Detailfrage» zu sein. Der Bundesrat zeigt wenig Interesse an einer Aufklärung. Er vertraut offenbar den Staaten Dänemark, Schweden und Deutschland, die eigene Untersuchungen führen – diese jedoch bisher nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben und auch nicht bereit sind, im Zuge der Aufklärung mit Russland zu kooperieren.
«Die untersuchenden Staaten haben am 21. Februar öffentlich mitgeteilt, dass die Untersuchungen noch in Gang sind. Der Bundesrat geht davon aus, dass die Ergebnisse zu gegebenem Zeitpunkt angemessen kommuniziert werden», schrieb die Regierung am Montag in ihrer Antwort auf eine Frage der SVP-Nationalrätin Yvette Estermann.
Im Rahmen der Sitzung der APK standen ebenfalls die Themen Neutralität und Ukraine-Hilfe zur Diskussion. Ist die Schweiz noch neutral, wenn der Bundesrat die EU-Sanktionen gegen Russland mitträgt, wollte SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel wissen. Cassis Antwort:
«Russland hat das Völkerrecht massiv verletzt. Das hat der Bundesrat auf das Schärfste verurteilt. Das war die Begründung dafür, dass der Bundesrat die EU-Sanktionen mit dem Ziel, die Wirtschaft Russlands so zu schwächen, dass der Krieg nicht weitergeführt werden kann, übernommen hat. Darum geht es bei den Sanktionen. Darüber, inwieweit sie erfolgreich sind, können wir diskutieren. Das ist aber bei jedem Land, gegen das wir Sanktionen anwenden, die Frage. Die Schwächung der Wirtschaft ist gerade das Ziel der Sanktionen. Das betreffende Land soll keine Ressourcen für den Krieg mehr haben. Dass die Bevölkerung unter den Sanktionen leidet, ist der Schritt, der notwendig ist, um die Regierung in ihren Kriegsbemühungen zu schwächen. Das ist das Ziel. Dieses Ziel verfolgen wir weiterhin zusammen mit den westlichen Partnern.»
Uneinig ist man sich in der Kommission auch hinsichtlich der Ukraine-Hilfe. Tiana Angelina Moser, Zürcher Nationalrätin der Grünliberalen Fraktion, meinte, dass die gegenwärtigen 650 Millionen Franken, welche die Schweiz für die Ukraine reserviert hat, nicht genügten.
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