«Wir sind nur noch wenige Zentimeter von einer direkten Konfrontation entfernt.»
Das erklärte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán am 7. Juni im Interview mit dem Sender TV 2. Er sagte außerdem, dass er miterlebe, wie westliche Politiker Entscheidungen treffen, «die uns trotz unserer Proteste Schritt für Schritt dem Krieg näher bringen».
Gegenüber dem TV-Sender erinnerte Orbán wie am selben Tag auch im Gespräch mit dem Hörfunk-Sender Kossuth-Radio daran, dass westliche Politiker seit zwei Jahren im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine immer weiter Grenzen überschritten:
«Im Februar 2022, als der Krieg ausbrach, sagten die Deutschen, wir würden nur Helme liefern. Europa wird den Ukrainern auf keinen Fall Waffen liefern, mit denen Menschen getötet werden können!»
Der bundesdeutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD habe damals ebenso erklärt, es werde zwar Sanktionen gegen Russland, aber nicht im Energiesektor geben. Damit habe das angefangen, so der ungarische Ministerpräsident, der gegenüber TV 2 hinzufügte, heute würden deutsche Panzer durch die Ukraine rollen, deutsche und andere westeuropäische Flugabwehrraketensysteme eingesetzt sowie demnächst westliche Jagdbomber geliefert, «und die Sanktionen haben die europäische Wirtschaft zerstört».
«Wenn wir also so weitermachen wie in den letzten zwei Jahren, ist es nicht übertrieben zu sagen, dass wir nur noch Zentimeter von der Endstation entfernt sind und den Punkt erreichen werden, an dem Soldaten, westeuropäische oder US-amerikanische, auf dem Territorium der Ukraine auftauchen werden. Wir sind also im Moment nur noch Zentimeter von einer direkten Konfrontation entfernt.»
«Sie wollen Krieg gegen Russland»
Orbán erklärte seinem TV 2-Gesprächspartner, dass es sich dabei nicht um Handlungen von möglicherweise blinden Schlafwandlern handele, wie manche vermuten:
«Es ist nicht so, dass sie es nicht sehen, sie wollen es.»
Die westlichen Politiker würden glauben, Russland könne mit militärischen Mitteln besiegt werden, mit den Ukrainern als Soldaten, die westliche Waffen geliefert bekommen. Sie würden dabei immer weiter gehen, sagte der Ministerpräsident mit Blick auf die Freigabe westlicher Waffen gegen russische Ziele.
«Sie sind also entschlossen, tatsächlich in eine direkte militärische Konfrontation mit Russland zu gehen.»
Ähnlich äußerte er sich in dem Radio-Interview, in dem er sagte, die westlichen Äußerungen über einem möglichen Truppeneinsatz in der Ukraine seien «keine Drohungen, das sind schon Tatsachen».
«Nur Blinde können nicht sehen, dass in Europa eine Kriegspsychose herrscht, deren logische Folge die Ankunft von Militäreinheiten aus westeuropäischen Ländern auf ukrainischem Gebiet sein wird. Bestenfalls nicht an der Frontlinie! Aber dass dies geschehen wird, kann niemand, der bei Verstand ist, bezweifeln.»
Dazu gehört für ihn auch der «ungeheuerliche Beschluss» der EU, dass in deren Mitgliedsstaaten russische Medien nicht empfangen und weitergeleitet werden dürfen. So könnten die Bürger nicht selbst entscheiden, «wo ihrer Meinung nach die Wahrheit liegen könnte».
«Hier sind also bereits Schritte gemacht worden, die die Vorbereitung, die direkteste Vorbereitung, für einen Krieg, für einen direkten militärischen Konflikt sind.»
«Sie reden nicht, sie handeln»
Das aktuelle Geschehen nähere sich dem «Point of no Return», also dem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, warnte er gegenüber Kossuth-Radio. Die Ankündigungen westlicher Politiker über Truppenentsendungen in die Ukraine seien in Wirklichkeit «Mitteilungen über Taten».
«Es wäre also gut, wenn sie nur reden würden, das wäre noch gut, aber sie reden nicht, sie handeln.»
Das gelte auch für die russischen Ankündigungen, nun Waffen an Staaten zu liefern, die den westlichen Staaten feindlich gesinnt seien. Die Kriegsbefürworter hätten den Ukraine-Konflikt zu einem europäischen Konflikt gemacht, so Orbán im Radio-Interview. Daraus sei ein West-Ost-Konflikt geworden, der jetzt den europäischen Kontinent und die Interessensphäre oder Interessenzone der Vereinigten Staaten verlasse und in allen anderen Teilen der Welt auftauche.
«Auf diese Weise entwickeln sich regionale Kriege zu Weltkriegen.»
Die Hoffnung, diese Entwicklung stoppen zu können, nehme mit jedem Tag ab, so der ungarische Ministerpräsident. Er betonte gegenüber TV 2, dass seine Regierung gegen diesen Kriegskurs sei und sich diesem verweigere. Dagegen würden andere mitteleuropäische Länder, die «nicht so unabhängig und souverän sind wie Ungarn» nicht sagen, was sie wirklich denken. Sie würden auf Druck aus den USA in den Krieg ziehen, obwohl sie wüssten, welche Konsequenzen dies habe.
Der «Marsch in den Krieg» sowie die zugrundeliegende Kriegspsychose hätten ihren Ursprung in Brüssel und in Washington, so Orbán. Um den Krieg zu stoppen, müsse auf beide Einfluss genommen werden, wobei das im Fall der USA kaum möglich sei. In den beiden Interviews betonte er, das dabei die EU-Parlamentswahl am Sonntag eine Rolle spielen könnte – was sich inzwischen als nicht erfüllte Hoffnung gezeigt haben dürfte.
Ungarn will widerstehen
Hoffnung setzt der ungarische Regierungschef weiterhin auf die mögliche Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident im November dieses Jahres. «Wenn Gott mit uns ist, gewinnt Trump, und es wird Frieden geschlossen, wenn nicht, befinden wir uns in einer schwierigen Lage», sagte er dazu gegenüber TV 2.
Im TV-Interview kündigte er auch an, sich Plänen für eine EU-weite Wehrpflicht für eine paneuropäische Armee zu widersetzen.
«Ich bin zuversichtlich, dass wir uns den Luxus leisten können, die Wehrpflicht auch in Kriegszeiten nicht wieder einzuführen, sondern die Reservisten zu trainieren und die Verteidigungskräfte auszubilden.»
Ungarische Truppen würden nicht an Nato-Operationen außerhalb des Bündnisgebietes teilnehmen, so Orbán zu westlichen Plänen eines Truppeneinsatzes in der Ukraine. Die Nato sei ein Verteidigungsbündnis, weshalb es keine gemeinsamen militärischen Operationen auf dem Territorium eines Drittlandes geben dürfe.
Der Ministerpräsident betonte, er wolle gegenüber der Nato deutlich machen, «dass Ungarn bereit und in der Lage ist, sich aus allen militärischen Aktionen herauszuhalten, die außerhalb Ungarns gegen andere Länder stattfinden werden». Rechtlich gesehen gebe es niemanden, der Ungarn zu einer Teilnahme zwingen könne.
Mit Blick auf die Geschichte Ungarns im Ersten und Zweiten Weltkrieg sagte er, dass sein Land sich auch damals nicht in den Krieg ziehen lassen wollte. Aber ein «Mangel an Stärke» habe dafür gesorgt, dass es doch hineingedrängt worden sei. Sich aus dem Krieg herauszuhalten sei eine Frage der Stärke, hob er dazu im Radio-Interview hervor.
«Man braucht jetzt keine Stärke, um an einem Krieg teilzunehmen. Dies ist am einfachsten, man muss nur mit dem Strom mitschwimmen. So wie das Rudel geht, so musst auch du gehen. Das ist einfach. Sich dem entgegenzustellen und sich herauszuhalten, nun, das ist schwer, dazu braucht man wirklich Kraft.»
Schnelles Kriegsende möglich
Wenn die Bevölkerung sich für Frieden einsetze, könne die Regierung das Land aus dem Krieg heraushalten, so Orbán weiter. Kriege seien immer «das Ergebnis menschlicher Entscheidungen». Die Regierungen und Staatschefs der führenden westlichen Staaten müssten unter Druck gesetzt werden, damit sie sich für Frieden aussprechen.
«Und wenn das geschieht, kann der Krieg innerhalb von 24 Stunden beendet werden. Wenn also die europäischen Staats- und Regierungschefs heute Frieden wollten, würde es innerhalb von 24 Stunden einen Waffenstillstand an der Frontlinie geben.»
Der ukrainischen Führung müsse erklärt werden, es gebe keine weiteren Waffen und kein weiteres Geld, «bis es einen Waffenstillstand gibt und Friedensgespräche beginnen». Orbán setzt darauf, dass nach einem Wahlsieg von Trump «eine transatlantische Friedenskoalition für den ganzen Westen» geschaffen werden könne – «und mit ihr können wir den Krieg beenden». Das sei aus seiner Sicht «das realistische Szenario für die Befürworter des Friedens».
Zugleich zeigte er sich gegenüber Kossuth-Radio sicher, dass «jetzt die Frage von Krieg und Frieden nicht mehr durch die Führenden am Verhandlungstisch entschieden wird, obwohl auch das kein unwesentlicher Moment sein wird, sondern im Grunde eine klare und freie Entscheidung der Menschen, die sagen können, ob sie es wollen oder nicht».
Kritiker Orbáns in Ungarn verwiesen darauf, dass dessen Worten kaum Taten folgten. Sie erinnern unter anderem daran, dass Ungarn nach langem Veto im Februar doch der EU-Milliarden-Hilfe für die Ukraine zugestimmt habe. Und als es im Dezember 2023 um Beitrittsverhandlungen der EU mit der Ukraine gegangen sei, habe Orbán, nachdem er sich dagegen geäußert habe, den Saal verlassen und so das einstimmige Ja der Anwesenden möglich gemacht.
**********************
Unterstützen Sie uns mit einem individuellen Betrag oder einem Spenden-Abo. Damit leisten Sie einen wichtigen Beitrag für unsere journalistische Unabhängigkeit. Wir existieren als Medium nur dank Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Vielen Dank!
Oder kaufen Sie unser Jahrbuch 2023 (mehr Infos hier) mit unseren besten Texten im Webshop:
Kommentare